Der Dacheinsturz
Wer kennt die Frage nicht? Man ist ehrenamtliches Mitglied einer Hilfsorganisation und trägt einen Funkmeldeempfänger am Gürtel. Viele Menschen kennen weder dieses kleine Gerät, noch deren tieferen Sinn, weshalb ich oft gefragt werde: „Hast du heute wohl Bereitschaft?“ – Darauf antworte ich grundsätzlich: „Ich habe immer Bereitschaft: 365 Tage im Jahr, 7 Tage die Woche und 24 Stunden am Tag!“ – Nicht selten erntet man dann verdutzte Blicke und die Antwort darauf lautet: „Ich könnte das nicht!“ – Oft bleibt dann bei mir nur das „Warum?“ – Warum kann ich es und andere nicht? Eine Erklärung mag vielleicht das folgende Einsatzbeispiel sein, wie es viele ehrenamtliche Feuerwehrler, Rettungsdienst-Angehörige und THW’ler nur zu gut kennen.
Es war ein verregneter Herbstabend und im Freundeskreis beschlossen wir, asiatisch essen zu gehen. Drei der fünf Leute sind ehrenamtlich beim THW engagiert und hatten demnach ihren Funkmeldeempfänger mit am Gürtel. Kaum war das Essen serviert und ein paar Happen genossen, ertönte der Alarm für den THW-Ortsverband Weiden: „Dacheinsturz Möbelhaus im Gewerbegebiet Brandweiher -Vollalarm für das Technische Hilfswerk.“ Es war eine jener Situationen, wo man nicht lange fragt und überlegt, sondern einfach einen Geldschein auf den Tisch legt, seine Jacke packt und mit dem Auto zur Unterkunft braust. Die netten Tischgespräche, das Essen und das frisch gezapfte Bier treten augenblicklich in den Hintergrund und man will einfach nur so schnell wie möglich helfen. Der Einsatzmodus beginnt, der Adrenalinspiegel steigt und man weiß nicht wirklich, was auf einen zukommt.
Kaum in der Unterkunft angekommen, läuft man zu seinem Spind und zieht sich schnell seine Einsatzklamotten an. Helm auf den Kopf und ab in die Fahrzeughalle. Die Autos werden besetzt und nun geht es um jede Minute. Nicht immer sind THW-Einsätze zeitkritisch, aber diesmal geht es wirklich um eine ernste Lage. Mit Blaulicht und Martinshorn rauscht der Mannschaftstransportwagen aus dem Hof, dicht gefolgt vom Gerätekraftwagen der ersten Bergungsgruppe. Die zweite Bergungsgruppe koppelte noch den Beleuchtungsanhänger an, denn man würde ihn garantiert brauchen in dieser regnerischen und kalten Herbstnacht.
Kaum angekommen geht es an die Erkundung der Einsatzstelle. Die ersten Feuerwehreinsatzkräfte sind ebenfalls bereits vor Ort. Die wichtigste Erkenntnis ergeht per Funk sofort an alle Beteiligten: „Keine Personen in Gefahr!“ – Erste Erleichterung macht sich breit. Das Möbelhaus war zum Zeitpunkt des Einsturzes bereits geschlossen, aber das Schadensbild war enorm: Zerborstene Glasscheiben, ein komplett eingedrücktes Dach, Wassermassen vom Regen, welche sich ihren Weg bahnten. Überall lagen Möbelstücke im Verkaufsraum verteilt. Der Strom war ausgefallen und das Szenario war aufgrund der herrschenden Dunkelheit gespenstisch anmutend. Immer mehr Fahrzeuge von Feuerwehr, THW und Rettungsdienst trafen ein. Und jeder war motiviert, um das Beste aus dieser Situation zu machen!
Was war passiert? Das Dach war an einer Stelle undicht und die Dämmung sog sich durch den Dauerregen nach und nach mit Wasser voll. Irgendwann gab die Flachdachkonstruktion nach und stürzte in den Verkaufsraum des Möbelhauses. Dabei ergossen sich weitere Wassermassen in das innere des Gebäudes. Eine kleine „Flutwelle“ riss regelrecht Möbelstücke mit und bahnte sich ihren Weg durch eine zur Straße gewandte Glasfront. Die Möbel landeten vor dem Gebäude auf einer Wiese und im Inneren war alles verwüstet. Feuerwehr und THW leuchteten die Einsatzstelle aus und stützten das Gebäude ab. Mit Motortrennschleifern musste das Technische Hilfswerk die zerstörte Dachkonstruktion abtragen. Eine notfallmäßige Abdichtung des Daches musste her. Das Wasser in den Verkaufsräumen galt es abzupumpen, um weitere Schäden zu verhindern. Stundenlang bis in den frühen Morgen hinein dauerten die Arbeiten. Hand in Hand wurde getan, was getan werden musste. Ehrenamtliche Einsatzkräfte fragen erst einmal nicht nach dem „Warum?“, sondern nach dem „Was kann ich tun?!“.
Diese kleine Anekdote aus der Vergangenheit ist ein klassisches Einsatzszenario für Angehörige einer Organisation wie dem Technischen Hilfswerk (THW). Nun schreiben wir das Jahr 2020 und haben es plötzlich mit einem „unsichtbaren Feind“ in Form des Corona-Virus zu tun. Wieder sind täglich mehrere Hundert THW-Einsatzkräfte unterwegs, um Schutzmaterial zu transportieren, Behelfskrankenhäuser aufzubauen und Krisenstäbe zu beraten.
Und wieder fragen wir nicht nach dem „Warum?“, sondern tun, was wir tun können. Nur diesmal wissen wir nicht, wie lange es dauert und wie es sich entwickeln wird. Und dennoch lassen wir uns nicht entmutigen, wenn der Funkmeldeempfänger losgeht und wir zu einem Einsatz gerufen werden.
Es ist einer der Momente wo ich mir wünsche, dass weniger Menschen einfach pauschal sagen „Das könnte ich nicht.“ – Unsere Gesellschaft muss aus solchen Situationen wie jetzt lernen und wir müssen dahin kommen, wo ehrenamtliche Rettungskräfte schon immer sind: „Was kann ich tun?“, „Wie kann ich helfen?“ und „Wo werde ich gebraucht?“
Und für alle, welche sich diese Fragen schon immer gestellt haben und auch jetzt täglich stellen gilt: Bleibt stark und gesund, bleibt am Ball und bleibt vor allem Teil unserer THW-Familie! Denn wir sind da: 365 Tage im Jahr, 7 Tage die Woche und 24 Stunden am Tag!
von
Andreas Duschner
Ortsbeauftragter
THW OV Weiden