Wie Bernd die Explosion erlebte

Krawums! Du schreckst auf.

Was war das? Bin ich verletzt?

Langsam kommst du zu dir. Du siehst auf deinem Handy die Uhrzeit 7:23 Uhr. Viel zu früh. Du bist erst gegen 4 Uhr ins Bett gegangen. Die Geburtstagsfeier bei dir auf Arbeit, einem großem Tagungshotel in Radebeul Ost, ging ziemlich lange. Wer hätte gedacht, dass Industriekaufleute auf Weiterbildung so lange und so heftig feiern können. Naja, immerhin musst du nicht in 37 Minuten wieder in Saal 5 sitzen und Vorträgen über CNC-Fräsen lauschen.  Aber zurück zu dem Knall. In deinem Schlafzimmer scheint alles normal. Du gehst ins Wohnzimmer. Auch alles normal. Du guckst raus auf die Straße. Da, wo immer die Bäckerei war, ist nur noch ein riesiger Trümmerhaufen. Hoffentlich geht es der brünetten Bäckerin gut, die ist immer so nett. Du siehst dich um. Eine Straßenbahn steht kurz vor dem Krater. Überall laufen Menschen umher. Einige stehen an und auf den Trümmern, scheinen jemand zu suchen. Ein LKW-Fahrer behandelt einen verletzten Mann.
Auf der ganzen Straße liegen überall Trümmer und Staub. Auf einem Auto liegt eine Laterne. Weiter hinten scheint es einen Auffahrunfall gegeben zu haben. Du siehst, dass die Haltstelle zu brennen beginnt. Jetzt bist du hellwach. Du ziehst dir schnell etwas an, schnappst dir deinen Feuerlöscher (den dir deine Mutter geschenkt hat, denn sie hatte immer Angst um dich) und beschließt, auf die Straße zu gehen, um zu helfen.

Auf der Straße bestätigt sich deine Einschätzung. Chaos pur. Du rennst zur Bushaltestelle und löschst die brennenden Bestandteile. Nachdem du damit fertig bist, fällt dir ein Mann auf, der wie betrunken umher torkelt. Aber wer trinkt so früh am Morgen? Du sprichst ihn an. „Hallo, ist alles gut? Kann ich Ihnen helfen?“  Die Antwort kommt bruchhaft und stotternd. „Isch kam Arbeit, Auto fahren Lampe. Mein Kopf......, Sohn? Leon? Leon? (schreit mittlerweile) Wo? Auto!“

Du weißt sofort, was er meint. „Folgen Sie mir!“ Ihr rennt zu dem Auto, auf dem die Laterne liegt. Du siehst auf der Rückbank ein Kind im Kindersitz. Es ist ein ungefähr vier Jahre alter Junge. Leon. Du versuchst die Tür zu öffnen. Sie klemmt. Die andere steht schon ein bisschen offen, leider liegt die Laterne drauf. Du versuchst, sie anzuheben. Leider erfolglos, denn sie ist aus Beton. Ein paar Passanten bemerken dich und deine Bemühungen. Sie helfen dir. Gemeinsam könnt ihr die Laterne anheben und Leon befreien. Leon ist unverletzt, aber erst jetzt fällt dir auf, dass der Vater blutet. Immerhin, mittlerweile hörst du Sirenen näherkommen. Unbeeindruckt schnapst du dir einen Verbandskasten und verbindest die Platzwunde am Kopf des Mannes. Jemand tippt dir auf die Schulter. „Ich bin Christian, Rettungsdienst. Kommt ihr noch ein bisschen klar?“ „Ja, fürs erste.“ „Gut, bleibt bitte hier.“ Dann geht er zu den nächsten Verletzten. Ihr wartet also und nach und nach kommen immer mehr Rettungskräfte. Du zählst alleine auf dieser Seite 3 gelbe Krankenwagen und einen Notarzt. Kurz darauf trifft auch die Feuerwehr mit drei Fahrzeugen ein. Auch auf der anderen Seite hörst du Sirenen, siehst allerdings durch den Trümmerhaufen nicht so viel. Die Polizei ist auch schon da und sperrt die ganze Straße ab. Jetzt kommt ein Mann, der den Verletzten farbige Karten zusteckt. „Sind Sie verletzt?“ fragt er dich. „Nein“ ist deine Antwort. Leon bekommt eine grüne, der Vater eine gelbe Karte. Dann geht der Notarzt weiter. Ein roter Geländewagen kommt an die Einsatzstelle. „Leitender Notarzt“, steht auf der Weste des Mannes, der zuerst aussteigt. Nachdem er kurz mit den Feuerwehrleuten und dem Notarzt geredet hat, wird eine Plane auf der Straße ausgelegt. Einige Feuerwehrleute beginnen, die Verletzten auf diese Plane zu legen. Andere Feuerwehrleute versuchen die Trümmer beiseite zu räumen, kommen aber durch die schweren Betonteile nur sehr langsam vorwärts. Jetzt kommen zwei weiße Krankenwagen. Die sehen ganz anders aus als die, die du vom Landkreis kennst. Schmaler. Dahinter erkennst du einen kleinen LKW durch die Absperrung fahren. Männer und Frauen in roter Bekleidung beginnen ein Zelt aufzubauen. „Wollen die jetzt hier campen?“ Doch bald wird der Sinn ersichtlich. Die Sanitäter bringen die Verletzten in das mittlerweile aufgebaute Zelt und behandeln sie dort, während die ersten Krankenwagen die Einsatzstelle mittlerweile mit Blaulicht verlassen. Eine Sanitäterin kommt zu euch und bittet euch zum Zelt zu kommen. Sie trägt Leon, während du den Vater stützt. Auf dem Weg erklärst du ihr, was mit den beiden passiert ist. Sie bedankt sich und sagt, dass du jetzt hinter die Absperrung gehen solltest, um die beiden würde sich jetzt gekümmert. „Danke Bernd!“ hörst du die beiden rufen, während du zur Absperrung gehst. An Schlafen ist für dich jetzt nicht mehr zu denken. Du beschließt, dich in dein Wohnzimmer zu setzen und das Geschehen weiter zu beobachten. Immerhin hast du heute deinen freien Tag. Von der anderen Straßenseite siehst du, wie ein blauer Transporter mit der Aufschrift „THW“ durch die Absperrung fährt. Beeindruckt, wie viele Organisationen und vor allem Menschen auf einmal da sind, gehst du in deine Wohnung und schmierst dir ein Brötchen. Du trittst an das Fenster, wo mittlerweile ein THW LKW vorgefahren ist. Ein Mann in weißer Weste sowie einer in einer roten Weste stehen an einem Feuerwehrauto. Gleichzeitig steigen aus einem Geländewagen zwei Einsatzkräfte mit Hunden aus. Nach einer kurzen Besprechung fangen die Hunde an den Trümmerhaufen abzusuchen. Sobald sie etwas gefunden haben, beginnen die THW-Kräfte mit unterschiedlichem Material zu graben. Mittlerweile trifft ein weitere LKW ein. Die Einsatzkräfte tragen etwas heraus, was wie eine Kettensäge aussieht, aber mit einem Aggregat verbunden ist. Eine Einsatzkraft zieht sich Schutzausrüstung an, während andere eine Verbindung zu einem Wassertank aufbauen. Dann geht es los. Die Kettensäge kämpft sich durch Beton. Die Einsatzkräfte sägen ein Loch rein, kurz darauf retten sie eine Frau durch das Loch. Mittlerweile kommen zwei weitere THW-LKW. Einer mit Kran und einer der aussieht wie der erste. Weitere Menschen steigen aus und fangen an, Trümmer zu beseitigen. Der Kran hat mittlerweile einen Greifer am Hacken und schaufelt Trümmerteile aus dem Weg. Ein weiterer LKW kommt zur Einsatzstelle. Es ist ein weißer mit einem kleinen Anhänger. Auch diese Leute bauen in Windeseile ein Zelt und Zubehör auf. Es scheint eine Versorgungsstelle zu sein. Von der Feuerwehr sind nicht mehr viele Leute da. Auch die gelben Krankenwagen sind nicht wiedergekommen. Dafür stehen mittlerweile fünf weiße Krankenwagen da. Die Arbeiten am Trümmerkegel geraten langsam ins Stocken. Kurz darauf erscheint ein Transporter. Die Männer bauen einen Kreis aus kleinen Kästen auf dem Trümmerhaufen auf. Im selben Moment kommt ein Tiefladergespann an. Ein Radbagger wird entladen und nach einer viertel Stunde schaffen es die Einsatzkräfte, noch eine Person aus den Trümmern zu ziehen. Der Mann ist verletzt, aber er lebt. Die ersten Kräfte beginnen, am Verpflegungspunkt zu essen. Die Ortungsspezialisten suchen den Haufen noch einmal intensiv ab. Dann kommt ein weiterer Tieflader, dieses Mal mit Radlader. Radbagger, Radlader und Kran schaufeln nun gemeinsam die Straße frei. Auch ein Team des MDR und andere Presse ist mittlerweile da. Das ist dir noch gar nicht aufgefallen. Kurz vor 18 Uhr ist eine Fahrspur pro Richtung frei. Auch die kaputten Autos sind mittlerweile verschwunden.

Alle Einsatzkräfte beginnen, ihr Material aufzuräumen und fahren weg. Übrig bleibt nur die Polizei, die gemeinsam mit einer Verkehrssicherungsfirma die verbliebenen Trümmer absichert.

 

Du bist vom Gesehenen schwer beeindruckt. Das so viele THWler in so kurzer Zeit so viel Spezialgerät zum Einsatz bringen können, hättest du nicht gedacht. Auch der Bericht im Sachsenspiegel ist beeindruckend. Du beschließt, dich über das THW zu informieren. In den nächsten Tagen ließt du auch den Bericht des THW OV Radebeul zu dem Einsatz. Einsatzkräfte aus Dippoldiswalde, Dresden, Freiberg und Radebeul waren beteiligt. Und das alles ehrenamtlich. Du bist begeistert und willst am liebsten sofort mitmachen. Deswegen schreibst du eine E-Mail an den Ortsverband. Bald erhältst du die Antwort.

 

Zwei Wochen später, an einem Donnerstagabend triffst du dich mit Fabian, dem Ortsbeauftragten und Stefan, dem Ausbildungsbeauftragten. Sie zeigen dir den Ortsverband Radebeul, die Ausrüstung und die Fahrzeuge. Du siehst auch einige der Helfer aus dem Einsatz wieder. Stefan erklärt dir alles Wichtige zur Mitwirkung und Fabian gibt dir den Mitgliedsantrag mit. Kurze Zeit später gibst du ihn unterschrieben zurück. Du bist jetzt also offiziell ein THWler.

Leider musst du dich noch bis zum September gedulden. Dann beginnt deine Grundausbildung. Da lernst du alle Grundlagen, die du für den Einsatz brauchst. Ende August bekommst du deine Kleidung. Du kannst es kaum abwarten.

Dann ist es soweit, dein erster Ausbildungsdienst steht an. Dabei lernst du auch deine Gruppe kennen. Ein bunt gemischter Haufen aus allen Schichten und Berufen. Aber alle total nett. Im Laufe des halben Jahres freundest du dich immer mehr mit ihnen an. Ihr wachst zusammen und werdet ein Team. Auch privat fangt ihr bald an gemeinsam was zu unternehmen. Ein Mitglied deiner Gruppe wurde damals aus der Bäckerei gerettet, ein Anderer ist nur wegen seiner Tochter auf das THW aufmerksam geworden. Nach einem halben Jahr ist es soweit, eure Gruppe wird in einen anderen Ortsverband gefahren, um eure Grundausbildungsprüfung abzulegen. Ihr alle seid riesig aufgeregt, aber ihr wisst, dass ihr gut ausgebildet seid. Bei der Prüfung müsst ihr fünft Stationen meistern. Dann kommt die große Verkündung der Ergebnisse: Ihr alle besteht! Bei der Party zurück in Radebeul siehst du, wie Clara ihren Freund küsst. Du musst schmunzeln. 

Gemäß deinen Wünschen wirst du der Bergungsgruppe zugeteilt. Dein Gruppenführer Michael ist sympathisch und auch mit den anderen Mitgliedern des Teams freundest du dich schnell an. In der ersten Zeit wird dir viel neues Wissen vermittelt, aber alles, was du lernst, ist irgendwie wichtig. Du saugst das Wissen nur so auf, denn alles ist so spannend, so anders als dein Alltag.  Spätestens nach der ersten Übung gehst du komplett in der Aufgabe auf. Es macht so viel Spaß, selbst etwas zu tun und nicht zur zuzuschauen. Die ersten Einsätze tun ihr Übriges. Du siehst, was das THW alles bewirken kann. Sogar deine Kollegen bemerken deine neue Energie und deinen neuen Schwung.

 

Epilog:

Gut drei Jahre nach der Explosion beim Bäcker klingelt die Alarmierungsapp auf deinem Smartphone.

 

THW RADEBEUL VOLLALARM, GASEXPLOSION RADEBEUL, MEISSNER STRASSE

 

Du fährst zum Ortsverband und triffst dich dort mit deiner Gruppe. Mit Blaulicht fahrt ihr zur Adresse. Eine Fleischerei ist komplett eingestürzt. Obwohl es nicht dein erster Einsatz ist, bist du aufgeregt. Gemeinsam mit Helfern anderer Organisationen rettest du Personen aus dem Trümmerhaufen. Es ist sehr anstrengend und du bist komplett durchgeschwitzt und schmutzig, aber sehr glücklich. Als alle Personen gerettet sind, geht ihr zur Fachgruppe Versorgung essen. Du hast dich noch nie so über Nudeln gefreut. Ihr erfahrt, dass alle Personen in der Fleischerei überlebt haben. Als ihr aufgeräumt habt, spricht dich eine Frau an. Sie dankt für deinen Einsatz und ist beeindruckt von der Leistung eures Teams.

Ihr dankbares Gesicht wirst du nie vergessen.

 

 Du fandest diese Geschichte schön? Dann schreib jetzt deine! Kontaktiere uns noch heute!